Wie Heimatgefühle gepflegt werden, zeigte einmal mehr die Theatergruppe des Musikvereins Wagenschwend
Von Ursula Brinkmann
Wagenschwend. Heimat ist derzeit ziemlich angesagt. Kaum eine Zeitung, in der das Thema nicht behandelt wurde. In Wagenschwend hat die Heimat
erstens einen Platz, nämlich im Dorfmuseum, wo „eine heimatliche Chronik den Blick für die Alltags- und Arbeitswelten früherer Tage schärft“, und zweitens ihr zu Ehren nun ein Fest
gefeiert wurde, ein „Heimatfest“. Denn so heißt das Lustspiel, mit dem die Theatergruppe des Musikvereins „Eintracht“ am Freitagabend Premiere feierte.
Seit 1983 wird beim Musikverein nicht nur musiziert, sondern auch Theater gespielt. Auf die Premierenvorstellung folgen vier weitere im
Dorfgemeinschaftshaus, und alle sind ausverkauft. Und dafür wurde wieder eine Menge Aufwand betrieben, bis hin zur liebevoll gebauten Kuh Berta auf Rollen, an der sich die Darsteller im
Melken üben müssen. Auch wenn es sich hier um das Werk von Laiendarstellern, -bühnen- und -kostümbildnern dreht, das Team punktet mit jahrzehntelanger Routine. Das wurde bei der Premiere deutlich,
als nach dem Drei- Stunden-Stück Vorsitzender Josef Link aufzählte, wer wie lange schon dabei ist. Dirigent Gerhard Schäfer schoss dabei den Vogel mit 29 Jahren ab, wäre nicht noch Ehefrau Marliese,
die zwar nicht auf der Bühne präsent war, dafür aber wiederum alles Organisatorische in den Händen hielt, was sie seit 34 Jahren tut.
Am anderen, dem jungen Ende der Aktiven-Skala, freut man sich über Jana Fichtner und Johannes Preidl, die beide ihre zweite Theater-Präsenz mit Bravour meisterten und letztlich der zankenden
Elterngeneration den Schneid abkauften. Von wegen: „Fria woar alles besser“. Die Professionalität zeigte sich auch darin, dass im letzten Moment improvisiert werden musste. Denn Klemens Brauchs
erkrankter Kehlkopf versagte zwei Tage vor der Premiere jeden Ton. Günther Schork, seines Zeichens Trompeter, aber kein Mann fürs Rampenlicht der Schauspielerei, lieh der Rolle des Günter (!)
Schlachter aus der ersten Reihe vor der Bühne seine Stimme, während Brauch die Rolle stumm, aber vielsagend ausfüllte.
Nicht weniger imposant war, was die Darsteller leisteten, allen voran Rainer Schmitt, der die wort- und gestenreiche Hauptrolle hatte. Mit Beate Klotz
als
hochnäsiger Ehefrau an der einen und der männlichen wie weiblichen Nachbarschaft (dargestellt von Isolde Fichtner, zugleich Regie, Claudia Eckhardt,
Manuela Heck) an der anderen Seite. Dass Souffleuse Marina Bauer kaum gebraucht wurde, ist ein weiteres Zeichen von Professionalität.
Das „Heimatfest“ hätte in Wagenschwend wohl die eine oder andere Parallele, doch bei so manchem Punkt würde man im Odenwald nur verständnislos den Kopf
schütteln. Denn wie „Kiie“ gemolken, „Hingele“ gefüttert und Hemden „gebiechelt“ werden, dafür braucht man in Wagenschwend keine VHS-Kurse. Für herzhafte Lacher sorgte die dramaturgisch
vorgeschriebene Unbeholfenheit mancher Dorfbewohner allenthalben. So mancher Schuss Lokalkolorit durfte natürlich ebenso wenig fehlen, wie die Übertragung des hochdeutschen Manuskriptes in Odenwälder
Dialekt. Logisch, dass die im Manuskript geforderte heimische Spezialität „Saure Milch und Semmede“ war. Auf dem Programmzettel war sogar ein Rezept abgedruckt.
So nahm das Wagenschwender Heimatfest seinen Lauf, sehr zur Freude der rund 150 Zuschauer, die mit viel Zwischenapplaus das Agieren ihrer
Theatertruppe honorierten, Heimatgefühle inklusive. Dass dörfliches Treiben und Traditionen dabei mitunter derb auf die Schippe, pardon Mistgabel genommen wurden, kratzt am eigenen
Heimatgefühl wahrscheinlich so viel, wie wenn man einem Ochsen ins Horn pfetzt… Der Musikverein Eintracht, der in diesem Jahr 90 Jahre seines Bestehens feiert, hat daran keinen geringen Anteil –
nicht nur wegen der kurzen musikalischen Einlagen zum Spiel auf der Bühne.
(Quelle: RNZ 08.01.2018)